Nanomaterialien gelten als wichtige Hoffnungsträger für neuartige Behandlungsmethoden bei vielfältigen Erkrankungen. Die Medizin macht sich bereits heute Nanomaterialien für Medikamente, Diagnostika und Implantate zunutze. Es wird intensiv an weiteren Möglichkeiten geforscht, um Nanomaterialien im Gesundheitsbereich anzuwenden, ein Gebiet, das inzwischen als „Nanomedizin“ Schlagzeilen macht. Was gibt es hier bereits und auf welche neuen Arzneimittel können wir in absehbarer Zeit hoffen? Und wieweit muss man sich vor übertriebenen Erwartungen hüten?
Nanopartikel haben in der Medizin eine lange Geschichte. Lange bevor es den Begriff „Nanotechnologie“ gegeben hat, wurde bereits kolloidales Gold (heute würde man sagen Nanogold) für rheumatoide Arthritis verwendet [1]. Nano-große Silberpartikel werden seit langem vor allem in der Hautmedizin als antibakterielle Wirkstoffe (z.B. in Wundverbänden) eingesetzt [2].
Mit der Entwicklung der Nanotechnologie entstand die Idee, dass sich die spezifischen Eigenschaften von Nanopartikeln auch medizinisch verwenden lassen. Dafür sind zwei Dinge maßgeblich: Zum einen muss das Präparat Partikel in Nanogröße enthalten, zum anderen muss es daraus nützliche Eigenschaften gewinnen, die weder mit größeren Partikeln, noch mit gelösten Chemikalien erreicht werden können.
Eine Zusammenfassung aus dem Jahr 2013 zählte genau 100 Produkte auf, die klinisch zugelassen sind, darunter auch medizintechnische Geräte, wie etwa Implantate oder chirurgische Instrumente [3]. Bei Implantaten können nanostrukturierte Oberflächen etwa aus Titan gutes Einwachsen fördern und Entzündung unterdrücken [4]. Als Nano-Arzneimittel sind 43 Produkte zugelassen (Stand 2014, z.B. Grippe-Impfstoffe, Krebsmedikamente oder gegen Pilzinfektionen) [5]. Die größte Zahl davon ist für Krebserkrankungen gedacht, aber insgesamt ist eine breite Palette von Anwendungen vertreten, darunter Infektionskrankheiten, Schmerzbehandlung, Krankheitsdiagnosen, Impfstoffe, Autoimmunerkrankungen und Immununterdrückung bei Organtransplantaten.
Warum wendet man Nanomedikamente an?
Ein wesentlicher Aspekt ist die Größe der Partikel, die so gewählt werden kann, dass sie sehr gut ins Gewebe eindringen können, vor allem in Tumoren, deren Gewebeaufbau gestört ist. Kommen Krebsmedikamente auf diese Weise in einen Tumor, so ist die örtlich vorhandene Dosis sehr hoch. Diesen Effekt macht sich bereits eine Reihe von Nanomedikamenten zunutze. Andere Partikel zielen darauf ab, dass sie bevorzugt von bestimmten Zellen aufgenommen werden. Dieser Faktor ist etwa für die Wirksamkeit von Impfstoffen wichtig, die spezifisch von Zellen des Immunsystems aufgenommen werden müssen, um zu wirken. Hoffnungen setzt man auch in die Möglichkeit, dass Nanopartikel Körperbarrieren durchdringen können. Für die Lunge bedeutet das etwa, dass Partikel direkt ins Blut gelangen und man Medikamente also inhalieren könnte, statt sie zu spritzen. Ein weiteres Beispiel ist die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn gegenüber Krankheitserregern wirksam abschirmt, aber leider auch gegen Medikamente, die dorthin gelangen sollen.
Das Durchdringen von Körperbarrieren ist für Nanopartikel in der Regel schwierig. Für ihre Sicherheit ist das günstig, aber bei medizinischen Anwendungen arbeitet man mit Hochdruck daran, das zu ermöglichen. Für Erkrankungen wie etwa Alzheimer muss ein Medikament in das Gehirn gelangen, eine Aufgabe für die man auch auf Nanomedikamente hofft. Während diese medikamentöse Anwendung noch grundlegend erforscht wird und nicht einmal in die klinische Testphase gelangt ist, gibt es bereits eisenhaltige Nanopartikel, die für bestimmte Gehirntumore eingesetzt werden. Sie müssen allerdings mit einer feinen Spritze chirurgisch in den Tumor deponiert werden. Ebenfalls auf Eisen beruhend, aber mit einer ganz anderen Anwendung, kann ein anderes Medikament zur besseren Darstellungen des Darms verwendet werden. Eisen ist also für die Diagnose verschiedener Krankheiten nützlich. Interessant ist das Konzept, dass solche der Diagnose dienenden Partikel gleichzeitig auch Medikamente tragen können, was zu „Theranostika“ führt, also Partikeln, die gleichzeitig für die Diagnose und die Therapie nützlich sein sollen.
Nanomedikamente sind allerdings keine Wundermittel. Wenn etablierte Medikamente mit Nanoträgern verbunden werden, ist die Wirkung in manchen Fällen nicht wirklich besser als für das Medikament allein [6]. Probleme kann es auch geben, wenn die Partikel keine ausreichende Dosis des Medikaments an den Krankheitsort befördern können oder sie zu schnell wieder beseitigt werden, eine Aufgabe die vor allem die Leber übernimmt [7,8]. Zu bedenken ist außerdem, dass für Nano-Medikamente dasselbe gilt, wie für alle anderen Medikamente: Sie müssen einen sehr strengen und langwierigen Zulassungsprozess bei den zuständigen Behörden durchlaufen. In Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit verantwortlich. In der EU ist dafür die European Medicines Agency (EMA) zuständig. Es dauert etwa 10 Jahre, ein Produkt von der Entdeckung bis zur Zulassung als Medikament zu führen. Für Nanomedikamente dürfte der Prozess eher noch länger dauern, wenn dabei neuartige Prinzipien verwendet werden, die speziell geprüft werden müssen. Nanomedizin wird daher nicht in Kürze die gesamte Medizin revolutionieren. Aber es ist richtig, dass die Nanotechnologie grundsätzlich völlig neue Behandlungsmöglichkeiten schafft, die tatsächlich nur mit Nanomaterialien erreicht werden können.
Literatur
- Dreaden EC et al. (2012), Chem. Soc. Rev. 41(7): 2740-79
- Ge L et al. (2014), Int. J. Nanomed. 9: 2399-407
- Etheridge ML et al. (2013) Nanomedicine 9(1): 1-14
- Bruinink A et al. (2014) J. Biomed. Mater. Res. A 102(1): 275-294
- Weissig V et al. (2014) Int. J. Nanomed 9: 4357-73
- Venditto VJ und Szoka FC (2013) Adv. Drug Deliv. Rev. 65(1): 80-88
- Grainger DW (2013) Int. J. Pharm. 454(1): 521-524
- Wang Y and Grainger DW (2014) Front. Chem. Sci. Eng. 8(3): 265-275